
Die Welt um uns herum fühlt sich oft unsicher an. Kriege, wirtschaftliche Unsicherheiten, Klimawandel, gesellschaftliche Spannungen – es gibt keine einzelne Krise, die unser Leben prägt, sondern eine Vielzahl von Unsicherheiten, die sich überlagern. Die Auswirkungen spüren wir alle. Ich auch.
Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem guten Freund. Er erzählte mir von der wachsenden Anspannung in seiner Beziehung. „Ich habe das Gefühl, wir stehen beide unter Dauerstrom. Als wären wir in so einer Art „mental overload“ oder „always on alert-Zustand“. Sie zieht sich immer mehr zurück, ich werde immer lauter – es ist ein einziger Kreislauf“, sagte er. Ich konnte ihn gut verstehen, denn was er beschrieb, erlebe ich gerade in vielen Beratungen von Beziehungen. Stress, Unsicherheit und Überforderung schleichen sich in den Alltag ein und stellen Partnerschaften und Arbeitsbeziehungen auf eine harte Probe. Aber warum passiert das eigentlich – und was können wir dagegen tun?
Struktur im Alltag und in der Beziehung
Wenn im Außen vieles unsicher erscheint, brauchen wir umso mehr Stabilität im Inneren. Unser Leben ist geprägt von Routinen und Strukturen, die uns Sicherheit geben. In Zeiten von Krisen werden genau diese Grundpfeiler erschüttert. Wir fühlen uns orientierungslos und überfordert, weil wir das Gefühl haben, dass zu viel im Umbruch ist und wir so vieles im Blick haben müssen.
Auch in Beziehungen kann sich diese Unsicherheit zeigen. Unterschiedliche Bindungsstile treten besonders stark hervor: Der/die eine zieht sich zurück, der/die andere klammert sich noch fester an den/die Partner*in. Eine Dynamik, die schnell in eine Abwärtsspirale führt. Der Rückzug des einen fühlt sich für den anderen wie Ablehnung an, das verstärkte Bedürfnis nach Nähe kann als einengend empfunden werden. Die Eskalation ist vorprogrammiert.
Was passiert hier eigentlich? Warum reagieren wir so?
Psychologische Spiele und unbewusste Muster erkennen
In Krisenzeiten aktivieren wir oft Verhaltensmuster aus früheren Beziehungserfahrungen, die wir aus unserer Kindheit mitbringen. Im Zusammenleben mit unseren Bezugspersonen haben wir Landkarten entwickelt, wie Beziehungen zu gestalten sind. Und auf diese Muster greifen wir dann unbewusst zurück.
Ein typisches Beispiel sind psychologische Spiele – wiederkehrende destruktive Interaktionsmuster, die z.B. aus dem Bedürfnis nach Anerkennung resultieren. Mein Freund erzählte mir, dass er und seine Partnerin immer wieder in das gleiche Muster geraten:
- Sie zieht sich zurück und gibt ihm das Gefühl, nicht wichtig genug zu sein.
- Er reagiert darauf mit Vorwürfen und verstärktem Nähe-Bedürfnis.
- Sie fühlt sich bedrängt und distanziert sich noch mehr.
Dieses Muster ist ein klassisches Beispiel für das Spiel „Komm her – geh weg“, das auf alten Bindungserfahrungen basiert. Der Schlüssel liegt darin, sich dieser Dynamik bewusst zu werden und auszusteigen, bevor das Spiel eskaliert.
Die Bedeutung von Strokes – Anerkennung im Alltag
Eine wichtige Ressource in Krisenzeiten sind Strokes, ein Konzept der Transaktionsanalyse, also Formen von Anerkennung und emotionaler Zuwendung. Mein Freund erkannte, dass seine Partnerin und er sich in den letzten Monaten vor allem negative Strokes gegeben hatten – Kritik, Streit, Frustration. Positive Strokes, wie ein ehrliches „Ich bin froh, dass du da bist“, waren selten geworden.
Eine einfache, aber effektive Übung: Jeden Tag fünf positive Strokes geben – das kann ein Danke, ein Kompliment, eine liebe Geste oder einfach aufmerksames Zuhören sein. Kleine Momente der Anerkennung können helfen, die Beziehung wieder zu stabilisieren.
Wege aus der persönlichen Krise
Wie kommen wir aus dieser Dynamik heraus? Ein erster Schritt besteht darin, sich bewusst zu machen, dass wir gerade emotional agieren – und nicht aus einer reflektierten Haltung heraus. In stressigen Momenten übernimmt das alte „Überlebensprogramm“.
Ein bewährter Weg, um aus diesem Muster auszubrechen, ist der sogenannte Phasenwechsel:
- Pause einlegen: Wenn du merkst, dass ein Streit eskaliert, unterbreche das Gespräch bewusst. Atme tief durch, verlasse für einen Moment den Raum oder nimm dir Zeit für dich.
- Eigene Emotionen und Bedürfnisse reflektieren: Frage dich selbst: Was fühle ich gerade wirklich? Ist es Angst? Unsicherheit? Hilflosigkeit? Was ist mein Bedürfnis in diesem Moment?
- Den Partner einladen, ebenfalls zu reflektieren: Teile deine Gefühle mit, ohne Vorwürfe. Ein einfaches: „Ich merke, dass ich gerade Angst habe, dass wir uns verlieren“ kann Wunder wirken.
Zusätzlich hilft es, sich über unbewusste Glaubenssätze und Skript-Dynamiken bewusst zu werden. Welche Sätze aus der Vergangenheit beeinflussen unsere Reaktion in Konflikten? „Ich bin nicht genug“ oder „Irgendwann wirst du mich verlassen“ sind oft unbewusste Überzeugungen, die das Verhalten steuern.
Fazit: Beziehungen aktiv gestalten
Das Ziel ist nicht, das Problem sofort zu lösen, sondern einander wieder als Verbündete wahrzunehmen. Beziehungen scheitern nicht an Krisen – sie scheitern an der Herausforderung, sich trotz Krisen sicher zu fühlen. Sicherheit beginnt im gegenseitigen Verstehen.