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Digital Detox für die Seele – warum weniger Denken manchmal klüger ist

Kennst du das: Du drehst gedanklich noch eine Extra-Runde, obwohl längst alles gesagt ist – und wirst dabei weder klarer noch ruhiger? Weniger denken, besser fühlen, klüger handeln. Das ist nicht anti-intellektuell, sondern nervensystemfreundlich und beziehungsorientiert.

Wann Denken kippt – und was dann hilft

Denken ist großartig. Es entwirft Lösungen, sortiert Erfahrungen, schützt vor Kurzschlüssen. Und ab einem Punkt kippt es in Grübeln: wiederkehrende Gedankenschleifen, die Energie fressen, Stimmung drücken und echten Kontakt verhindern. In Mediationen erlebe ich oft, wie Teams mit hochdrehenden Köpfen immer schneller reden – und immer weniger verstehen. Der Ausweg ist nicht „gar nicht denken“, sondern dosiert denken: Rhythmus statt Dauerfeuer.

Transaktionsanalytisch heißt das: mein Erwachsenen-Ich aktivieren. Innehalten, beobachten, benennen, entscheiden – ohne Drama. Du erlaubst deinem System Mikropausen (Reset), bevor du wieder fokussiert einsteigst. So entsteht Handlungsfähigkeit statt Kopfkino. Das ko-kreative Setting hilft zusätzlich: Verantwortung teilen, Gegenwart betonen, Beziehung als Ressource nutzen. Kurz: weniger Lärm im Kopf, mehr Kontakt im Raum.

Ein persönliches Beispiel

Vor ein paar Wochen stand ich nach zwei intensiven Konfliktgesprächen im Wald in Volksdorf. Mein Kopf wollte die dritte Variante eines ohnehin fertigen Textes formulieren. Ich habe angehalten, 20 Atemzüge gezählt, dem Rascheln zugehört – mehr nicht. Auf dem Rückweg kam kein „genialer Gedanke“, sondern nur ein klarer Satz: „Thomas, schick die Version, die gut genug ist.“
Ich tat es. Die Rückmeldung der Kundin war ein schlichtes „Danke, passt“. Diese Mini-Unterbrechung hat mir eine Stunde Feinschliff, drei E-Mails und ordentlich Cortisol erspart. Weniger Denken – mehr Wirksamkeit. Seitdem gönne ich mir bewusst Stille-Mikrodosen vor heiklen Mails, Vertragsentwürfen oder Familiengesprächen. Ergebnis: bessere Entscheidungen, entspannterer Ton, kürzere Schleifen.

Drei Missverständnisse über Digital Detox

  1. „Ich darf nie mehr online sein.“ Quatsch. Es geht um bewusste Dosierung: klare Start-/Stopp-Punkte, stille Zonen, fokussierte Sprints.
  2. „Ohne Input werde ich dümmer.“ Eher im Gegenteil. Pausen aktivieren die Konsolidierung – das Gehirn räumt auf, damit Neues haften bleibt.
  3. „Weniger denken macht unkritisch.“ Nein. Es macht dich präziser: Du unterscheidest zwischen wesentlichem Problem und Lärm.

Kopf, Körper, Kontakt – ein kleines Navigationssystem

  • Kopf (Klarheit): Kurz prüfen: „Welche Frage beantworte ich gerade?“ Wenn du das nicht sagen kannst, bist du wahrscheinlich in der Schleife.
  • Körper (Regulation): Schultern lösen, Kiefer entspannen, ausatmen. Körperarbeit ist kein „Nice-to-have“, sondern die Bremse für kognitive Überdrehzahl.
  • Kontakt (Beziehung): Nicht jeder Gedanke muss sofort ausgesprochen werden. Stille aushalten, nachfragen, paraphrasieren. Die Beziehung klärt, was der Kopf nicht schafft.

TA-Kompass: Von der Idee in die Praxis

  • Erwachsenen-Ich aktivieren: Innehalten und Beobachtung vor Bewertung („Ich bemerke, dass…“).
  • OK–OK-Haltung kultivieren: Ich bin ok. Du bist ok. (Auch wenn wir’s unterschiedlich sehen.)
  • Skript-Update wagen: „Ich muss immer alles durchdenken“ wird zu „Ich darf dosieren und entscheiden“.
  • Ko-kreativ statt solo: Halte kurze Denkräume im Team – fünf Minuten Stille vor der Entscheidung sparen oft eine Stunde Diskussion.

Sieben Mikro-Tools für Kopfklarheit

  • 2-Minuten-Stille: Timer stellen, nichts „optimieren“. Nur atmen, Körper spüren, beobachten.
  • Frage statt Schleife: „Was ist der nächste kleine Schritt?“ (nicht: „Warum ist alles so kompliziert?“)
  • Notiz statt Kopfkino: Ein Satz auf Papier parkt den Gedanken – dein System darf weiter.
  • Monotask-Sprint (25/5): 25 Minuten eine Sache, 5 Minuten aus dem Fenster schauen.
  • Input-Fenster: Nachrichten, Social, Mails in 2–3 gebündelten Slots – nicht dazwischen.
  • Body-Check: Drei tiefe Ausatemzüge; Schultern hoch – halten – fallen lassen. Der Körper nimmt dem Kopf das Tempo.
  • „Gut-genug“-Kriterium: Vorab definieren, wann etwas fertig ist – Perfektion höflich verabschieden.

Für Führung, Beratung & Familie

Weniger Denken ist kein Rückzug, sondern Beziehungsarbeit.
In Teams schafft es Präsenz: Du hörst wirklich zu, statt nur auf eine Sprechpause zu warten. Meetings gewinnen an Rhythmus: kurze Stillen, klare Beiträge, sichtbare Entscheidungen. In Beratung und Pädagogik entsteht Raum, in dem Menschen sich selbst hören – Interventionen werden einfacher, weil sie passender werden. In Familien senkt es den Tonfall: Worte dürfen nachklingen, bevor die nächsten kommen. Und persönlich gewinnst du Souveränität: Du reagierst nicht reflexhaft, sondern antwortest.

Ein Beispiel aus einer Mediation: Ein Leitungsteam kam mit dem Auftrag „Wir entscheiden heute alles“. Nach 40 Minuten merkte ich das bekannte Dauerfeuer. Wir stoppten, nahmen drei Minuten Stille und sortierten dann in drei Spalten: jetzt entscheiden, mehr Info nötig, reifen lassen. Das Team verließ den Raum mit zwei tragfähigen Zusagen und einem klaren Review-Termin – statt mit sechs halbgaren Beschlüssen. Weniger Denken zur richtigen Zeit, besseres Denken zur passenden Zeit.

Dein Experiment für heute

Wähle eine Situation, die sonst Grübel-Magnet ist (Mail an heiklen Verteiler, Gespräch mit Kunde xy, Budgetentscheidung). Setz dir zwei Stopps: einen vor dem Start (2-Minuten-Stille) und einen nach dem ersten Entwurf (kurz aufstehen, atmen). Dann entscheide. Halte inne und beobachte: Was wird leichter? Was wird klarer? Wo brauchst du weniger Worte? Bonus: Bitte eine vertraute Person um eine Rückmeldung nur zur Wirkung („Wie kam ich rüber?“) – nicht zum Inhalt. Das schärft deinen Blick für Kontaktqualität.

Digitalhygiene statt Digitalaskese

Wer weniger denkt, hat oft bessere Ideen – weil das System nicht im Dauer-Input hängt. Darum lohnt sich eine einfache Digitalhygiene:

  • Grenzen: Push-Mitteilungen minimieren, Geräusch aus, Do-Not-Disturb als Standard.
  • Rituale: Beginn und Ende des Arbeitstags mit 60 Sekunden Stille markieren.
  • Räume: Handyfreie Zonen (Esstisch, Schlafzimmer, Besprechungsanfang).
  • Gemeinsame Regeln: Im Team verabreden, wann asynchron reicht – und wann Live-Kontakt Sinn macht.

Das Ziel ist kein romantischer Digitalverzicht, sondern professionelle Präsenz. Du bleibst erreichbar – aber aufmerksam, reguliert, entscheidungsfähig.


Mehr dazu – inklusive konkreter Übungen und Aha-Momente aus unserer Praxis – hörst du in unserer aktuellen Podcast-Episode „Digital Detox für die Seele – Warum weniger Denken manchmal das Klügere ist“. Hier anhören: https://open.spotify.com/episode/5FaUsy487NkWWSKtOw9eXD.

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Ist „Ich denke, also bin ich“ eine Illusion? Eine philosophische Reise

Hallo und herzlich willkommen auf unserer Reise durch die Tiefen der Philosophie und Psychologie! In unserem neuesten Podcast haben wir, Thomas Lorenzen und Thomas Wehrs, uns mit einer der berühmtesten Aussagen der Philosophiegeschichte auseinandergesetzt: René Descartes‘ „Ich denke, also bin ich“. Doch was, wenn dieses „Ich“, von dem wir glauben, dass es denkt, gar nicht existiert? Kann dieser grundlegende Glaubenssatz uns daran hindern, die wahre Natur unseres Seins zu erkennen?

Das Ich und seine Kritiker

Descartes suchte nach einem unerschütterlichen Fundament des Wissens. Durch methodischen Zweifel kam er zu dem Schluss, dass er an allem zweifeln könne – außer daran, dass er zweifelt. Dieser Zweifel setzt Denken voraus, und Denken erfordert einen Denker. Doch ist dieser Schluss wirklich so zwingend?

Philosophen wie David Hume argumentierten, dass das Selbst nichts weiter als ein Bündel von Wahrnehmungen ist, die ständig im Fluss sind. Wenn wir in uns hineinschauen, finden wir kein konstantes Selbst, sondern nur flüchtige Eindrücke und Empfindungen. Auch östliche Philosophien wie der Buddhismus lehren das Konzept des „Anatta“ – das Nicht-Selbst. Die Vorstellung eines festen, unveränderlichen Selbst ist demnach eine Illusion, die Leid verursacht.

Neurowissenschaftliche Perspektiven

Die Neurowissenschaften unterstützen diese Sichtweise teilweise. Studien zeigen, dass unser Gefühl des Selbst durch komplexe neuronale Netzwerke erzeugt wird. Es gibt keine einzelne Hirnregion, die für das „Ich“ verantwortlich ist. Fälle wie das Capgras-Syndrom, bei dem Betroffene glauben, ihre Angehörigen seien durch Doppelgänger ersetzt worden, verdeutlichen, wie veränderbar unser Selbst- und Weltbild ist. Unser Gehirn konstruiert die Realität, die wir erleben.

Transaktionsanalyse und Glaubenssätze

Als Berater und Coaches nutzen wir die Transaktionsanalyse, um diese Konzepte praktisch anzuwenden. Eric Berne teilte das menschliche Bewusstsein in drei Ich-Zustände auf: Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich. Jeder dieser Zustände beeinflusst, wie wir denken, fühlen und handeln.

Der Glaubenssatz „Ich denke, also bin ich“ könnte aus dem Eltern-Ich stammen – eine internalisierte Botschaft, die wir übernommen haben, ohne sie zu hinterfragen. Das Erwachsenen-Ich hat jedoch die Fähigkeit, diesen Glaubenssatz kritisch zu prüfen und zu entscheiden, ob er uns heute noch dient. Das Kind-Ich könnte darunter leiden, wenn wir uns zu sehr auf das Denken konzentrieren und emotionale Aspekte vernachlässigen.

Die Bedeutung von Beziehungen

Die relationale Transaktionsanalyse betont, dass das Selbst nicht isoliert existiert, sondern in Beziehungen zu anderen entsteht. Unser Denken und Sein stehen immer in einem relationalen Kontext. Glaubenssätze werden innerhalb von Beziehungen geformt und können auch dort verändert werden. Indem wir die Illusion eines autonomen Selbst hinterfragen, können wir ein tieferes Verständnis für unsere Verbundenheit mit anderen entwickeln.

Praktische Anwendungen und persönliche Entwicklung

Was bedeutet das alles für uns im Alltag? Indem wir unsere Glaubenssätze hinterfragen, öffnen wir uns für neue Perspektiven und persönliches Wachstum. Meditation und Achtsamkeit können dabei helfen, das konstruierte Selbst zu erkennen und bewusster zu leben. In unserer Arbeit unterstützen wir Menschen dabei, bewusster, kreativer, neugieriger und flexibler zu agieren. So kann ein ausgewogeneres Selbstbild entwickelt und das integrierende Erwachsenen-Ich weiter gestärkt werden.

Schlussgedanken

Die Reise zu uns selbst ist eine der spannendsten, die wir unternehmen können. Indem wir alte Überzeugungen hinterfragen und offen für Veränderungen sind, können wir ein erfüllteres Leben führen und bessere Beziehungen aufbauen.

Wir laden Sie herzlich ein, unseren Podcast zu diesem Thema anzuhören und Ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen mit uns zu teilen. Haben Sie Fragen, Anmerkungen oder Themenvorschläge? Schreiben Sie uns gerne!

Über uns

Thomas Lorenzen und Thomas Wehrs sind erfahrene Berater und Coaches, die Menschen und Unternehmen dabei unterstützen, den permanenten Wandel selbstbestimmt und nachhaltig zu gestalten. Auf Mediation im Norden finden Sie weitere Informationen zu unseren Angeboten.

Bleiben Sie neugierig und offen für neue Perspektiven! HIER geht es zur passenden Podcast-Folge